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Etappe 10: 1200m aufwärts nach Galicien

Freitag, 09.08.24

Ponferrada
Ponferrada

Start in Ponferrada: TemplerBurg


Der Aufstieg des Schreckens......
Der Aufstieg des Schreckens......


Die Begegnung
Die Begegnung

Nach meinem Start in Ponferrada an der wirklich beeindruckenden Templerburg führte mich meine Strecke immer geradeaus aus der Stadt durch Vororte gefühlt 1 Std. lang immer geradeaus auf einer Hauptstraße hinaus aufs Land, immer weiter in Richtung des heutigen Aufstiegs. Die gro0e mentale Nuss, die mein Kopf zu knacken hat. Werde ich diesen abartigen Auftieg nach O Cebreiro schaffen, über den so viele schreiben, fluchen und verzweifelt klagen?  Nicht die hM sind es, sondern die Steigungs-Prozent.....teilweise 17%.....das ist nicht zu schaffen, mit Gepäck.....ich werde schieben , ja einfach schieben....keine Frage der Ehre, sondern der Kraftrationierung....ich muss da hoch!

Und während ich noch so vor mich hin denke werde ich von einem Radler überholt, der zu mir rüber schaut und fragt." are you Maestro G?" Sofort ist mir klar: das ist jener Kristof, der mich vorgestern über komoot kontaktiert hatte: wie cool!

Wir tauschen uns kurz über unsere jeweils letzte Etappe aus und finden den Umstand positiv kurios, dass man sich über komoot in Spanien auf der Strecke findet. Kristof ist Belgier und etwa in meinem Alter. Er hat eine höhere Geschwindigkeit drauf, ein leichter bepacktes Gravelbike und hat mich daher - wie ich schon ahnte.- eingeholt, obwohl er 2 Tage später in St.Jean gestartet ist. 

Wir verstöndigen uns zunächst darauf, dass jeder sein Tempo hat, aber einen Gesprächspartner haben wir wohl beide gern , angesichts des anstehenden Anstiegs....

Villafranca del Bierzo
Villafranca del Bierzo

In Villafranca kommen wir an einer Burg vorüber und dort gibts Stempel, außerdem ein Bistro, in dem Kristof hält um was zu trinken. Wir treffen dort auf zwei Iren, die auch den Camino radpilgern. Der eine ist sogar von Irland, Galway (!) bis hierher geradelt, Unfassbar! Sie müssen um die 65 sein, fahren Gravelbikes und sehen zäh und drahtig aus: waschechte Iren hier im brüllend heißen Spanien. Das gibts nur auf dem Camino denke ich mir. 

Nach einem netten Camino-Talk und einer Limo steigen Kristof und ich wieder auf und starten. Irgendwie neu das Gefühl mit jemand gemeinsam zu fahren, hatte ich seit der Tour mit Leonore und Quentin nicht mehr. Fühlt sich aber gut an, wir haben relativ ähnlichen Antritt. und stoßen an der Brücke erst mal auf ein Team spanischer Rennradler, die entspannt in Richtung Berge fahre, wir hängen uns dran.


Gemeinsam zum Aufstieg


Die Botschaft
Die Botschaft

 

Wir kommen auf der wunderschönen Strecke übrigens tendenziell immer tiefer zwischen den Bergen in ein Tal und ich werde langsam unruhig: alles wieder rauf,...jeder Meter abwärts....

Wir sind aufeinander eingependelt: mal fährt Kristof voraus, dann hole ich ihn wieder ein. Man genießt beim Fahren eher still die Bergschönheit....

In Las Herrerias des Valcarce überqueren wir den Rio Valcarce ein letztes Mal und an der Brücke treffe ich die beiden Spanier wieder, mit denen ich in Foncebadon auf eine Limo ins Gespräch gekommen war. Ich hatte sie am Cruz de Ferro aus den Augen verloren, hier stehen sie am Wegrand und müssen eine Kette reparieren: Wir sprechen kurz und verabschieden uns mit "see you later"....die beiden sind so schnell, dass sie sicher bald überholen. Schön trotzdem, dass man sich trifft und wahrnimmt. Die Leidensgemeinschaft am Berg hilft.

Und dann fahre ich an diesem Schild mit der Botschaft vorüber, die ziemlich unmittelbar zu mir spricht und mich weiter begleitet. Wer immer das geschrieben hat.....danke!

Letzte Station vorm Aufstieg
Letzte Station vorm Aufstieg

Es geht los.....
Es geht los.....

Das fiese an der heutigen Etappe ist, dass der Anstieg des Grauens erst nach 2/3 der Strecke beginnt, nach 44km die eher gemütlich vonstatten gingen und bereits in die Bergwelt eintauchten.

 

Und jetzt: jetzt bist du hier angekommen in der Einbahnstraße und es gibt nur den Gewaltmarsch nach oben. Die ganze Zeit haben deine Gedanken darauf hin getanzt, aber es gibt keinen Plan B, keine Alternativroute. Ernst ist ernst und das ist genau jetzt! 

In dem Moment, wo der Weg sich hebt und der Blick aufwärts das einzig mögliche ist, sammelt sich deine Energie: los gehts.

 

Und nach 1km permanenten aufwärts Kämpfens wird dir klar: es ist noch viel härter: das Navi zeigt gnadenlos deinen lächerlichen Fortschritt....und das inmitten von Fußpilgern, deren Tempo jetzt fast schneller ist als deins. Freundliche "Buen Caminos" und "Venga!"-Rufe hellen den Moment kaum auf, es muss weiter gehen......

 

Zum Glück wendet sich der Weg oft und hat Schatten, denn die Sonne brennt jetzt schon ordentlich vom Himmel herab. Ich denke an die zurückliegenden Anstiege und meine lange Schweißspur in Spanien. Heute heißt es mit Würde leiden...... 

Aufwärts
Aufwärts

Vom weiteren Aufstieg gibt es keine schönen Bilder, die Dokumentation ist knapp. Ich muss mich voll und ganz auf den vor mir liegenden Anstieg konzentrieren. Es ist ein Mix aus Serpentinen-Fahren, Schieben und Pausieren. Immer wieder treffe ich auf Kristof, der etwas voraus ist, jeder kämpft seinen Kampf hier hinauf.

Inzwischen ist der Fußweg abgebogen, die Straße gehört uns und den etwa alle 5 Minuten vorbeifahrenden Autos. Und dann gibt es diese nervigen Tages-E-Bike-Fahrer, teilweise in Gruppen, die wie zum Hohn des Biobikers vorbeisurren.....Ich kann mich im Affekt  nicht entscheiden ob ich sie verachten, ignorieren oder bedauern soll. Die Compostela bekommt man so jedenfalls nicht.....Es ist wie ein Parallel-Universum, das hier durch eine Glaswand getrennt aneinander vorbeizieht. Letztendlich teilen wir den Werg nur sehr kurz, ich vergesse sie.  Der Weg fordert mehr. Die Pausen sind kurz aber wichtig: ich trinke heute vermutlich mein Camino-Höchstpegel, da ich auch orderntlich den Asphalt bewässere. Alles ein Wasserkreislauf....

Wie unfassbar lang können 8 km Anstueg sein.....

Die große Erleichterung tritt in La Laguna ein, wo wir gemeinsam rasten, und das Übelste geschafft haben. Ich ziehe mein völlig durchnässtes Shirt aus und greife zum Pilgerhandtuch.....Zwei Kas Limon mit Eis hellen das Gemüt auf,...wir klopfen uns verbal auf die Schulter für die Leistung des Tages...Die Gespräche werden verbindlicher, wir verstehen uns recht gut. Dieses unabhängige gemeinsam Fahren funktioniert ganz gut, es hat auch gepusht.

Der Ausblick hier oben indes ist bereits jetzt wunderschön, ich gönne mir noch ein Eis. Ein Blick aufs Navi, tatsächlich: bald ist es geschafft.....aber noch nicht ganz. Die Kräfte kommen aber erfreulicherweise noch einmal zurück. Eigentlich unglaublich: und das nach fast 10 Tagen, meine Kondition macht mir fast etwas Angst. Jetzt kann eigentlich kommen was mag: nach O Cebreiro haben wir alles durch....

O - (wie oben)  Cebreiro

O Cebreiro
O Cebreiro
Galicien
Galicien

Angekommen in Galizien! Als ich O Cebreiro erreiche ist Kristof schon vorausgeradelt, stattdessen werde ich von den beiden Spaniern begeistert in Empfang genommen, mit Applaus und Jubel "Marcos, Marcos......" Fast fühle ich mich wie im Zieleinlauf des Marathons. Wie lieb von beiden...wir genießen den Ausblick über die Weiten Galiziens....In meinem Kopf entsteht ein gro0es Wort: GESCHAFFT! Tatsächlich, ich bin oben.....Und das fühlt sich mehr noch nach oben an als das Cruz de Ferro, aber nur weil ich es härter verdienen musste. 

Nach dem Ausblick und dem Abschied von beiden Spaniern radelte ich durch das Dorf, zunächst zur Kirche: unglaublich aber wahr: sie war geschlossen! Eine der ältesten Kapellen auf dem Camino und eigentlich das Interessanteste Gebäude hier oben und verriegelt.....Ferien, Siesta....pfffff. Egal. Ich fahre durchs Dorf und suche Kristof, kann ihn aber nicht finden....

Hier kann man übrigens üppig Touristentand kaufen, auch Stöcke, Muscheln, alles was das Pilgerherz ...naja.wenn mans noch nicht hat. 

Ich fahre an den Rand des Dorfs und packe die Drohen aus. Hier will ich mal fliegen.....

- DROHNEN VIDEO folgt -


Kristof hatte vor heute noch bis Tricastela zu radeln, soweit erinnere ich mich. Er ist vermutlich weitergeradelt oder hatte eine andere Route hier oben. Ich nehme eine Abkürzung am Waldrand, die vom EuroVelo abweicht, daher haben wir uns vermutlich verloren....

Da er einen Flieger gebucht hat, ist er etwas stingenter unterwegs, mag sein, dass wir uns das nächste Mal wieder auf komoot sprechen. Irgendwie cool, dass man sich getroffen hat. Wir teilen nun die Erinnerung an den großen Anstieg.

Ich habe es nicht mehr ganz so weit fpür heute, allerdings steht jetzt die Sonne hich und die Luft ist heiß und ich habe noch zwei Altos auf dem Weg, d.h. nochmal Anstiege, die aber "konventionell" sind.

An einem halte ich nochmal an, mache ein Foto und lasse die Drohne fliegen. Hier oben ist es herrlich....und es ist nicht viel Verkehr! Ich freue mich, hier oben ein Quartier gefunden zu haben, das ich nun ansteuere. Ein Bauernhof, der beste Pilgerbewertungen bekommen hat.....


Fonfria

Fonfria
Fonfria

Hier oben in den Bergen Galiciens liegt das kleine Bauerndorf von Fonfria. Die herzliche Aufnahme, die Natürlichkeit und die hervorragende Ausstattung inmitten eines fantastischen Naturpanoramas hauen mich fast um. In der Tat Hat alles nützt das das Flair eines großen Bauernhofs mit komfortablen Steinhäusern Auf der Wiese warten liegen Es gibt gemütliche Sitzmöglichkeiten. Die Wäscheleine hängt bereit und ich buche mich für ein gemeinsames Abendessen ein, von dem bereits viel im Netz geschwärmt wurde.

Diese wohltuende Idylle ist noch nicht mal besonders teuer und ich fühle mich spontan sauwohl. 

Nach den Strapazen des Aufstiegs und der drückenden Hitze liegt ein enorm entspannender und wohltuende Abend vor mir. Das gemeinsame Abendessen entpuppt sich wirklich als eine Kategorie für sich. Die ganzen Pilger sitzen an einer großen Tafel und werden bedient wie Fürsten mit einem köstlichen 3 Gänge Menü in einem typisch galizischen Rundbau. Man spricht Spanisch, ich werde allerdings direkt mit Vornamen begrüßt, nachdem ich meine Anmeldung abgegeben habe und werde neben eine Familie gesetzt, deren Vater wohl Englisch sprechen soll, was Mir die Verständigung des Abends deutlich erleichtert.. Den größten Teil des Abends schaue ich allerdings teils erstaunt in die Runde der Pilger, lausche den fröhlichen Austauschgesprächen und genieße das wirklich köstliche Essen. Das Dessert wird angekündigt mit Pomp und Trara und die Chefin trägt uns den Kuchen zu Tisch unter donnerndem Applaus. Eine hervorragende Stimmung im Raum und nach dem Kuchen wird getanzt, gälische Musik natürlich, und zu Klängen von Dudelsäcken stehen auch viele auf und lassen sich in einen Gruppentanz verwickeln. Ich bin viel zu verdutzt, um rechtzeitig aufzustehen und genieße den Anblick von tanzenden gesättigten Pilgern. Was für ein Fest. Solch einen Abend habe ich auf der ganzen Reise bisher nicht erlebt.

Eine Stunde später hängt meine gewaschene Wäsche auf der Leine. Ich habe mir den Radreiseführer geschnappt, setze mich mit einer Limonade in eine Ecke, genieße den Ausblick in die Bergwelt und die langsam kühler werdende Abendluft. Mein Aufenthalt hier in den Bergen wird leider nicht lang dauern, denn schon morgen geht es wieder tief hinab in die Hügelwelt und auf Etappe Nummer 11.....damit befasse ich mich nun ein wenig näher. 

Dabei bemerke ich, wie sehr ich von der Hand in den Mund lebe, von Moment zu Moment, von morgen bis zum Abend und wie gut sich das anfühlt,....und wie wenig Druck es ausübt, den Tag auf sich zukommen zu lassen: morgens nicht genau zu wissen, wo man abends unterkommt. Immer natürlich vorausgesetzt, dass die Unterkünfte und die Stationen so dicht gesetzt sind wie hier auf dem Camino. Es ist fast wie eine sanfte Strömung im Fluss., auf den du dich mit einer Luftmatratze legst und dich treiben lässt. Du stößt mal links, mein rechts ans Ufer, aber du kommst immer vorwärts, nie zu schnell und nie zu bedrohlich.

Für den morgigen Tag bestehen 3 Alternativen: a) die Tour wie im Buch von Wewior: das wäre recht überschaubar und würde bis Sarria führen. Oder b) seine nächste Etappe noch dazu, die ist kurz: bis Portomarin. Damit hätte ich noch immer keine wirklich lange Etappe. Und c) noch eine Station weiter bis Melide. das würde aus dem Tag eine der löngsten Etappen mit erheblich vielen Höhenmetern machen. Diese Variante würde mich so nah an mein Ziel führen, dass danach der Weg nach Santiago stünde......

Und merkwürdigerweise muss ich nicht lange überlegen: mag sein, dass ich durch die letzten zwei Tage eine kleine Hybris entwickelt habe, aber ich will bis Melide kommen, ich will diese Hammertour nehmen, über alle Anstiege und die Hitze...ich spüre den Sog von Santiago und beschließe mit der Sonne zu starten......also ab ins Bett und Stamina ausbrüten......

 


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